Dietrich Kittner

Rondo konfuso
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Überlegungen zu Frieden, Wohlstand und Freiheit · Von Dietrich Kittner

Die Auswirkungen der angestrebten Anhebung des Renteneintrittsalters lässt sich in einem Satz kurz wie folgt beschreiben:

Der 66-jährige Bauarbeiter schleppt Ziegel, da er wegen Unfinanzierbarkeit seiner Rente bis 67 arbeiten muss, während sein 17-jähriger Enkel dabeisteht und zusieht, weil er, da der Großvater nach arbeiten muss, keinen Arbeitsplatz bekommt und infolgedessen keine Rentenbeiträge einzahlen kann, was dazu führt, dass die Rente des Alten unfinanzierbar wird und dieser deshalb bis 67 malochen muss, wodurch er dem Jungen den Arbeitsplatz wegnimmt, der darum als Arbeitsloser keine Rentenbeiträge einzahlen kann, demzufolge die Rente des 66-Jährigen nicht mehr zu finanzieren ist und er aus diesem Grunde bis ins Greisenalter Ziegel schleppen muss, damit den Arbeitsplatz des Enkels blockiert, der nun folglich der Rentenkasse nichts zahlen kann, weil er keine Arbeit bekommt, da ihm sein Opa den Arbeitsplatz wegnimmt, weil ja seine Rente aufgrund der Arbeitslosigkeit des Enkels nicht gesichert ist.

Anders betrachtet könnte die Erhöhung des Renteneintrittsalters aber vielleicht doch neue Arbeitsstellen schaffen, weil den greisen Baufacharbeitern dann jeweils ein Altenpfleger zur Seite gestellt werden müsste, der allerdings auch bis 67 arbeiten müsste, da sonst seine Rente nicht zu finanzieren wäre, weil sein 17-jähriger Enkel keine Rentenbeiträge zahlt, da dieser aufgrund der Tatsache, dass ihm sein Opa den Arbeitsplatz in der Altenpflege wegnimmt, arbeitslos ist.

Wer jetzt die soziale Logik der Agenda 2010 noch nicht begriffen hat, der muss sich eben in den Deutschen Bundestag wählen lassen. Da braucht nämlich sowieso kein Abgeordneter Beiträge für nachfolgende Generationen zu zahlen, und Rentenanspruch hat er darum schon nach einer achtjährigen Lebensarbeitszeit. Schafft er drei oder vier Legislaturperioden, besitzt er Rentenanspruch schon ab 61 bzw. 57 Jahren. Bringt so einer es am Ende gar noch zum Minister oder parlamentarischen Staatssekretär, kriegt er bereits nach zweijähriger beitragsfreier „Lebensarbeitszeit“ Pension schon ab dem 55. Lebensjahr. Die Rente ist also bombensicher — für Politiker. Infolgedessen gibt es in manchen Debatten über Sozialfragen im Plenum auch bis zu 90 Prozent freier Plätze.

In den Jahren zwischen 1840 bis 1860 führte eine Koalition der Staaten des freien Westens den sogenannten Opiumkrieg gegen China um dem damals schon globalisierten freien Drogenhandel die ungehinderte Einfuhr von Rauschgift in das Reich der Mitte zu erzwingen.

Heute stellt sich die Situation andersherum. Unsere brave Bundeswehr ist nach Afghanistan geflogen, um in der Provinz Kunduz Frieden und wirtschaftlichen Aufschwung zu sichern. Im Unterschied zum Krieg gegen den chinesischen Terror vor 150 Jahren geht es diesmal jedoch nicht um freie Opium-Einfuhr, sondern um den Export der Droge. Seit der Vertreibung der Taliban, die Rauschgiftanbau und -handel durch Verbote unterdrückt hatten, ist nämlich Opium wieder Hauptwirtschaftsfaktor der Region. Der weitaus größte Teil unseres deutschen Heroinbedarfs kommt aus Kunduz. Deshalb — und wohl vor allem auch, weil es um ökonomischen Aufschwung in der Kolonie Afghanistan geht — hat die Bundesregierung ausdrücklich erklären lassen, Rauschgiftbekämpfung gehöre keinesfalls zu den Aufgaben deutscher Soldaten. Einem unverbürgten Gerücht zufolge will Berlin jedoch durch sanften diplomatischen Druck erreichen, dass für den Export bestimmte Rohopiumballen und Heroinpakete mit einem Aufdruck versehen werden: „Rauschgift kann tödlich sein. Der Kriegsminister.“

Weil es um den Frieden in Kunduz geht, waren alle Söldner und Banditen der dortigen Warlords und Drogenbarone gleich zu Beginn des Bundeswehreinsatzes aufgerufen, ihre Waffen abzugeben. Die Aktion hatte großen Erfolg : einige Hundert Schießprügel wurden tatsächlich abgeliefert. Immerhin gab es pro Waffe 200 Dollar. Wer clever war, konnte das Geld nehmen und sich auf dem Markt zum landesüblichen Preis von 50 Dollar ein neues Gewehr holen. Eine schöne Spanne.

Weiterblickende Typen haben sich vermutlich für die 200 Dollar gleich mit vier neuen Uzis oder Kalaschnikows versehen, für die sie nun bei der Militärverwaltung insgesamt 800 Dollar erlösen konnten, welches kleine Startkapital schon für 16 Schießeisen vom freien Markt gut ist, die ihrerseits bei der Besatzungsmacht einen Rohgewinn von 3 200 Dollar erbringen, der dein Investor den Kauf von 64 neuen Handfeuerwaffen ermöglicht, die bei ordentlicher Ablieferung nun immerhin schon 12 800 Dollar bedeuten, ausreichend für die Anschaffung von nunmehr 256 Gewehren im Abgabewert von 51 200 Dollar — und so fort, bis die Region Kunduz dank solch tatkräftiger Entwicklungshilfe binnen kürzester Frist unumstrittenes Stammgebiet von Millionären geworden ist.

Nützlicher Nebeneffekt: angesichts des zu erwartenden Riesenbooms für Schießeisen in Zentralasien wird wohl auch beim deutschen Waffenfabrikanten Heckler & Koch ein namhaftes Sümmchen hängen bleiben und damit einheimische Arbeitsplätze sichern. Aus dieser Überlegung heraus wird die Bundesregierung wahrscheinlichzukünftig Bundeswehr-Auslandseinsätze ohne Umwege direkt aus dem Sozialetat bezahlen, was leider dazu führt, dass das Arbeitslosengeld weiter gekürzt und das Renteneintrittsalter auf 70 angehoben werden maß. Der 69-jährige Bauarbeiter schleppt dann also Ziegel, da er wegen Unfinanzierbarkeit seiner Rente … weiter ab libitum, s. o.

So bewahrheitet sich denn die uralte Weisheit, dass Drogengeschäft und Waffenhandel Frieden, Wohlstand und Freiheit für alle Beteiligten gewährleistet. Lohnt es sich nicht, unsere tapferen Soldaten für solch humanitäre Werte in den Kampf zu schicken?